Wallis,
Dienstag, 25. März 2025
Wenn ein Survival-Trip zum Albtraum wird
Das Theater «Riverside – Flenn mir einen Fluss» im Zeughaus Kultur in Brig zeigt spannend inszenierte zeitgenössische Themen, die beim Publikum ankommen. Eine Theaterkritik.
Historische Themen sind im Oberwallis ein bewährtes Erfolgsrezept auf der Bühne – gelebte Geschichte, fest verankert in der kollektiven Erinnerung. Doch was ist mit der Gegenwart? Liegt es daran, dass aktuelle Ereignisse nicht oder schwerer ins Rampenlicht treten? Schliesslich sind sie noch nicht erzählt, geordnet, systematisiert? Die Sempione Productions tritt mit ihrem neuen Stück «Riverside – Flenn mir einen Fluss» den Beweis an: Zeitgenössisches Theater hat eine Berechtigung – und begeistert das Publikum.
Vergangenen Freitag feierte die Eigenproduktion der Theatergruppe ihren Auftakt. «Flenn mir einen Fluss» im Zeughaus Kultur Brig knüpft lose an frühere Theaterprojekte an, die sich mit lokalen Ereignissen wie dem Rhonetalsturm von 1922 auseinandersetzten. Die grundlegende Geschichte: Städter, die sich in einer fremden, feindlichen Natur behaupten müssen – ist also nicht neu, doch Tropenrot und Feuerwehr verleihen ihr eine originäre Relevanz. Sie verknüpfen fiktional wie biografisch unter Schichtung von medialer Realität und halten dem Publikum einen Spiegel vor.
Der Abend beginnt mit Überraschendem: Vier Stadtmenschen werden vom Walliser Survival-Trip zu einer existenziellen Erfahrung – ausgerechnet die Schulreise. Es ist die letzte Gelegenheit, den Fluss in seiner wilden Form zu sehen, bevor ein Stausee gebaut wird. Ein bisschen Spass und Abenteuer, was soll da schon schiefgehen? Doch es ist ein gefährliches Spiel. Der See ist trügerisch und schluckt alles – auch die sicher geglaubte Schulreise. Die Figuren sind klischeehaft, aber dennoch glaubwürdig gezeichnet – sie tragen viele von vielen Eigenheiten, die durch pointierte Dialoge und schnelles Tempo einverleibt werden. Das Publikum ist gefordert – und bestens unterhalten.
Die Bühne bleibt reduziert, doch der Einsatz von nahezu allgegenwärtigen Stoffbahnen, die als Projektionsfläche dienen, schafft eine eindrucksvolle visuelle Dynamik. Das Publikum erkennt die Figuren, die sich im Fluss verirren, während sie wie wilde Wasserläufer über die Projektionsfläche flitzen. Mit der Umkehrung der Erzählrichtung (die Erzählung folgt dem Film) wird eine filmische Tiefendramaturgie erzeugt, die mit einem projizierten Meer aus Wasserblasen ein sich auflösendes Erinnerungsbild schafft.
Mit minimalistischen Mitteln – GoPro-Kameras am Rucksack der Figuren, einem Stoffband für den Fluss, einer Stirnlampe für den Bunker – wird die Illusion von Reise, Erlebnis und subjektiver Realität erzeugt. Dies führt zu überraschend starken Effekten. Durch die Projektion wird die Bühne zum Fluss, zum Sumpf, zum See, zum Neonazi-Bunker.
Viel Selbstironie angesichts der Absurdität des Geschehens erlaubt Reflexion über Wirklichkeit und Inszenierung. Die Akteurinnen und Akteure scheinen das Geschehen nicht nur zu durchleben, sondern auch zu kommentieren. Es entsteht ein Spiel im Spiel, ein Paradoxon, das gleichzeitig nachdenklich und unterhaltend ist.
Die Wendung und Neonazis im Bunker
Doch das Abenteuer nimmt an Fahrt auf: Das vermeintliche Wildniserlebnis verkehrt sich ins Gegenteil, die Warnungen aus dem Off (die Lehrperson) sowie die gespeicherten Warnungen aus der eigenen Erinnerung verpuffen – und das Publikum findet sich in einem musikalischen Zwischenspiel überrascht: Walser Sound und Tropenrot verwandeln die Szene in eine surreale, tragikomische Schulreise-Hymne – über menschliche Schwächen und systematische Fehler.
Die Performance balanciert gekonnt zwischen Parodie und Tragik – und beweist erneut die künstlerische Relevanz der Oberwalliser Theaterlandschaft. Die drei Dilettierenden des «Flenn»-Projekts – Regie, Drehbuch, Musik – vereinen filmische, literarische, technische, künstlerische Elemente, mit einer Sicherheit, die beeindruckt. Wie kaum ein anderes Theaterprojekt der letzten Jahre erweist sich «Flenn mir einen Fluss» als multimedialer, interdisziplinärer Kraftakt. Der Abend ist intensiv, spannend, überraschend – und macht Lust auf mehr.
Fazit: «Riverside – Flenn mir einen Fluss» ist ein mutiger, künstlerisch überzeugender und gesellschaftlich relevanter Theaterabend. Die TheaterPro-Produktion überzeugt auf ganzer Linie.
Natalie Benelli